Hintergrund
Am 30. Januar 1933 kamen die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) mit ihren Koalitionspartnern im Deutschen Reich an die Macht. Nachdem der Reichskanzler Kurt von Schleicher am 28. Januar zurückgetreten war, wurde Adolf Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Damit war das Deutsche Reich noch keine Diktatur, aber der Reichspräsident hatte die Regierungsgeschäfte erstmals an ein aus nationalsozialistischen und nationalkonservativen Politikern gebildetes Kabinett übertragen. Bis zur Reichstagswahl am 5. März 1933 war die Regierung Hitler ohne Mehrheit im Reichstag. Auch danach war sie zunächst auf die nationalkonservativen Abgeordneten angewiesen, vor allem die der DNVP. Das weitere Jahr 1933 nutzten die Nationalsozialisten zum Aufbau einer Diktatur in Deutschland. Am 23. März 1933 setzten sie mit dem sogenannten Ermächtigungsgesetz die Gewaltenteilung außer Kraft. Die Kommunistische Partei hatte zu diesem Zeitpunkt ihre Reichstagsmandate schon entzogen bekommen. Einige Parlamentarier, die gegen das Gesetz stimmen wollten, wurden in Schutzhaft genommen und so am Abstimmen gehindert. Nur die SPD, von deren Abgeordneten 26 inhaftiert oder schon geflohen waren, stimmte als einzige Fraktion mit 94 Stimmen gegen das Ermächtigungsgesetz.
Der 30. Januar 1933 wurde von den Nationalsozialisten als Tag der „Tag der nationalen Erhebung“ und die Ernennung Hitlers als „Machtübernahme“ gefeiert, weil sie an diesem Tag zum ersten Mal an einer deutschen Regierung beteiligt wurden und Adolf Hitler Reichskanzler wurde. In der Endphase der Weimarer Republik war ein weiteres Präsidialkabinett nichts Neues. Dass die NSDAP die ihr „übertragene“ Macht aber dazu nutzte, die vorhandene Gewaltenteilung abzuschaffen und eine Diktatur zu errichten, war lange geplant. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels erläuterte später:
Wenn die Demokratie uns in Zeiten der Opposition demokratische Methoden zubilligte, so mußte dies ja in einem demokratischen System geschehen. Wir Nationalsozialisten haben aber niemals behauptet, daß wir Vertreter eines demokratischen Standpunktes seien, sondern wir haben offen erklärt, daß wir uns demokratischer Mittel nur bedienten, um die Macht zu gewinnen und daß wir nach der Machteroberung unseren Gegenern rücksichtslos alle die Mittel versagen würden, die man uns in Zeiten der Opposition zugebilligt hatte. (Goebbels, S.13.)
Der 30. Januar war also ein wichtiger Tag für die Nationalsozialisten und sollte 1945 auch der Tag werden, an dem Hitler seine letzte Rundfunkrede hielt.
Die Rede
httpss://ia700508.us.archive.org/30/items/Hitler_Speeches/Hitler_Speeches%2F1945-01-30_-_Adolf_Hitler_-_Letzte_Ansprache_am_12.mp3
Hitler war zum Zeitpunkt, als er die Rede hielt, in Berlin, wo er seit dem 16. Januar überwiegend im Bunker unter den Gärten der Alten Reichskanzlei lebte. In seiner Rede an das deutsche Volk begann Hitler mit dem Ersten Weltkrieg, den Deutschland verloren hatte. Im Vertrag von Versailles, der den Frieden in Europa verhandelte, wurde das Deutsche Reich zu erheblichen Reparationen an die Alliierten, Gebietsabtretungen und Abrüstung gezwungen. Hitler machte aber als Grund für die schlechte Lage des Deutschen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg den „asiatischen Bolschewismus“ aus und meinte damit Russland. Tatsächlich nahm Russland aber gar nicht an den Friedensverhandlungen in Versailles teil. Wie es also daran Schuld sein soll, dass es dem Deutschen Reich nach dem Ersten Weltkrieg schlecht ging, erklärte er gar nicht, weil er es gar nicht hätte erklären können. Stattdessen sprach er davon, dass außer ihm niemand den Schuldigen erkannt und sich gegen ihn gewehrt hätte. Aber auch mit der Demokratie rechnete Hitler ab. Denn die Demokratie passte seiner Meinung nach nicht mehr in seine Zeit. Stattdessen glaubte er, dass „Volksgemeinschaften“ nur in einer Diktatur überleben könnte – heute hört sich das sehr zynisch an.
Hitler, der als „Führer“ den Überfall auf Polen 1939 zu verantworten hat, stellte den Krieg so dar, als hätte er ihn nicht begonnen. Er sagte: „Nur sechs Jahre des Friedens sind uns seit dem 30. Januar 1933 vergönnt gewesen.“ Etwas Ähnliches hatte er schon beim Kriegsausbruch am 1. September 1939 gesagt: „Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen.“ Nur, dass gar nicht zurückgeschossen wurde. SS-Leute hatten sich als polnische Freischärler verkleidet und den Sender Gleiwitz überfallen. Somit hatte sich Hitler selber den Grund geliefert einen Krieg zu beginnen.
Die Deutschen schwor Hitler auf das Durchhalten ein. Er machte ihnen Komplimente dafür, wie sie in den letzten sechs Jahren den Krieg durchgehalten hatten, denn er wollte, dass sie weiter kämpfen – auch, wenn sich abzeichnete, dass Deutschland den Krieg kaum noch gewinnen konnte.
Im Laufe der Rede wurde aus dem „asiatischen Bolschewismus“ der „jüdisch-asiatische Bolschewismus“. Hitler ließ seine Zuhörer also noch einmal seinen Hass auf seine beiden Feindbilder hören: die Juden und den Bolschewismus. Er machte ihnen Angst vor beiden und behauptete, sie alleine würden Deutschland zerstören. Wie sie das taten, erklärte Hitler nicht. So wie er nicht sagte, wer diesen Krieg tatsächlich begonnen hatte. Stattdessen sagte er auch jetzt noch, dass nur der Nationalsozialismus dem deutschen Volk helfen könne. Hitler glaubte immer noch an den „Endsieg“ für Deutschland. Denn im Januar 1945 – so meinte Hitler – würde Deutschland sich nur in einer Krise befinden, aus der es wieder herausfinden würde. Aber wer nicht mehr für Deutschland kämpfen wollte, weil er vielleicht keinen Sinn mehr darin sah, dem versprach Hitler den Tod.
Hitler glaubte auch immer noch an die „Vorsehung“. Weil er den Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 überlebt hatte, glaubte er, er sei von Gott gesandt, um Deutschland zu retten. Überlebt hatte er aber, weil der Ort an dem er Claus Graf Schenk von Stauffenberg treffen sollte, geändert wurde. Statt in einem Bunker, traf er von Stauffenberg in einer Baracke, wo die Bombe, die ihn töten sollte, nicht den Effekt hatte, den sie im Bunker gehabt hätte.
Bis zum Ende schwor Hitler seine Zuhörer immer wieder darauf ein, dass sie an ihn und an Deutschland glauben sollen und dass der „Endsieg“ kommen würde.
Eindruck
Odd Nansen konnte die Rede im KZ Sachsenhausen als privilegierter KZ-Häftling in der Zeitung lesen. Er schrieb am 1. Februar:
1. Februar 1945
Gestern war der Zwölfjahrestag des Naziregimes in Deutschland. Abends habe der Führer gesprochen heißt es. Die Rede, die ich in der Zeitung gelesen habe, bestand im Wesentlichen aus Verherrlichungen von Heldenmut, Opfer, Kämpfen bis zum letzten Mann usw. Und im übrigen rief er beständig die Vorsehung an um Gnade und Sieg. Über die Kriegslage sagte er nichts. Das war wohl auch überflüssig. Alle wissen ja, wie es steht, jedenfalls alle, die es wissen wollen. Aber die meisten wollen es nicht wissen, und für diese waren die Worte des Führers ein willkommenes, trostreiches und höchst erforderliches Evangelium. „Jetzt mögen die Russen kommen!“ sagen sie. „Sie mögen nur kommen, wir werden sie schon aufhalten!“ Und viele glauben das tatsächlich. So hingegeben sind sie, so fanatisch gläubig. Aber die Russen rollen voran. (Nansen, S. 262f.)
Literatur:
Joseph Goebbels, Wesen und Gestalt des Nationalsozialismus, Berlin 1935.
Odd Nansen, Von Tag zu Tag, Hamburg 1949.
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