Seit Ende Januar begleiten die Tweets den Rotarmisten Vladimir Gelfand auf seinem Marsch Richtung Berlin. (Ich bevorzuge diese Transkription des Vornamens gegenüber Wladimir.)
Der 1923 in Nowoarchangelsk, in der heutigen Ukraine, geborene Vladimir stammte aus einer jüdischen Familie. Nach seinem Abitur, das er 1941 ablegte, wollte er Schriftsteller werden. Doch im August 1941 wurde sein Heimatort auf Grund der herannahenden deutschen Wehrmacht evakuiert. Vladimir Gelfand, ein überzeugter Kommunist, der jedoch neben Josef Stalin auch vor dem amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt große Hochachtung hatte, lebte zunächst ein paar Monate bei seiner Großmutter, meldete sich dann im April 1942 freiwillig als Soldat für die Rote Armee. Nach einer kurzen Grundausbildung wurde er Sergeant und übernahm das Kommando einer Granatwerferbesatzung. Im Sommer 1943 wurde er Unterleutnant. Gegen Ende des Jahres 1943 erfuhr Gelfand, dass vor kurzem bei zahlreichen Judenvernichtungsaktionen in Russland, die insgesamt etwa 10.000 jüdische Todesopfer forderte, von seiner Familie väterlichseits nur sein Vater und sein Onkel überlebt haben, obwohl auch sie im Ghetto Jessentuki (15.08-01.10.1942) inhaftiert waren.
Gelfands Tagebuchaufzeichnungen beginnen mit dem 13. Januar 1945, mit Beginn der russischen Weichsel-Oder-Offensive, bei der Gelfand an vorderster Front kämpfte – immer noch als Kommandant einer Granatwerferbesatzung, jedoch einer anderen als 1942. Nach vielen Gewaltmärschen überschritt er am 28. Januar 1945 die Grenze von Deutschland (die Reichsgrenze von 1939 wohlgemerkt), in starkem Schneegestöber und völlig verlaust, so klagte er tagelang im Tagebuch.
Seine Tagebuchaufzeichnungen sind aus dem Leben gegriffen, nichts beschönigend, aber auch nichts übertreibend. Das schriftstellerische Talent merkt man Gelfand bei seinen Aufzeichnungen an. Teilweise unterbrechen Kurzgeschichten seine Tagesberichte.
Quelle: Gelfand, Wladimir: Deutschland-Tagebuch 1945-1946. Aufzeichnungen eines Rotarmisten. Berlin 2008.