In den Tagen um den 9./10. November haben uns viele Anfragen von Menschen erreicht, die sich weiter mit dem Thema beschäftigen oder mehr über die Pogrome in ihrer Heimatstadt oder gar die Rolle ihrer Vorfahren erfahren wollen. Wir hoffen, allen zumindest kurz geantwortet zu haben. Dennoch möchten wir zumindest einen kurzen Leitfaden veröffentlichen, anhand dessen sich jede/r Interessierte knapp und schematisch orientieren kann. Bei Fragen sind wir auch gerne über unsere Twitter-Accounts, die Kommentarspalte dieses Posts oder per eMail zu erreichen.
Ein guter Einstieg ins Thema ist das folgende Buch:
Hans-Jürgen Döscher: Reichskristallnacht. Die Novemberpogrome 1938.
Es ist in verschiedenen Auflagen recht günstig gebraucht erhältlich (wobei die neueren Auflagen natürlich teurer, aber sinnvoller sind) und vermittelt einen gut lesbaren Überblick und zahlreiche Quellen als Abschrift oder Faksimile. Wer sich tiefer in die Geschichte der Novemberpogrome einlesen möchte, sollte eine solche knappe Gesamtdarstellung an den Anfang stellen – nur dann ist gewährleistet, dass man Informationen und Quellen grundlegend in den Kontext einordnen und ihre Relevanz erkennen kann.
Generelle Internetseiten
Nachfolgend einige weiterführende Links zum Thema:
Bundeszentrale für Politische Bildung: Die Inzenierte Empörung
Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg: Die Nacht als die Synagogen brannten
Zukunft braucht Erinnerung: Die Pogromnacht am 9./10. November 1938
Docupedia: Antisemitismus
Docupedia: Neuere Täterforschung
DHM Lemo
Nun zur eigenen, zielgerichteten Recherche:
Internetrecherche
Häufig findet man schon per Google lokale Informationen. Die Reichspogromnacht wird noch zu häufig Reichskristallnacht genannt, daher empfehlen sich beide Suchbegriffe plus den Namen des jeweiligen Ortes. Auch Kristallnacht, Pogrom, Novemberpogrome und 9. November sind lohnenswerte Stichwörter. Auch die Suche nach „Drittes Reich + Ortsname“ oder „Nationalsozialismus + Ortsname“ ist empfehlenswert.
Google Books bietet die Suche in mehreren Millionen Büchern. Es empfiehlt sich also, nicht nur die normale Websuche zu benutzen, sondern auch hier zu recherchieren. Wenn es um schnelle Informationen geht, ist es nützlich, nur solche Bücher anzeigen zu lassen, von denen man zumindest eine Textvorschau angezeigt bekommt: Dazu über „Suchoptionen“ und „Alle Bücher“ auf „Vorschau verfügbar“ klicken.
Lokale Ebene
Auf der lokalen Ebene sind die Pogrome dank der Arbeit zahlreicher Lokalforscher relativ gut aufgearbeitet. Auch unsere Arbeit basiert auf der Vorarbeit von vielen weiteren Wissenschaftlern und wer sich für die Geschehnisse in seiner Stadt interessiert, sollte einen Blick in diese vertiefenden Darstellungen werfen. Häufig finden sich auch Informationen in Büchern, welche die Geschichte der jeweiligen Gemeinde im Nationalsozialismus behandeln oder in allgemeinen Stadtgeschichten. Ebenfalls einen Blick wert sind lokalgeschichtliche Schriftenreihen, in diesen findet sich häufig auch ein Aufsatz zum Thema.
Diese sollten in der örtlichen Bibliothek bzw. in der Bibliothek des jeweiligen Stadt- oder Kreisarchives vorhanden sein.
Lokale Initiativen und Geschichtsvereine
Weiterhin gibt es in zahlreichen Städten und Gemeinen Initiativen und Geschichtswerkstätten zum Thema. Diese sind bei Fragen eine gute Anlaufstelle und machen gute Arbeit.
Archive
Die Verwaltungen führten häufig eine Akte, in denen sie „Judenangelegenheiten“ verwalteten. Im Kreis Warendorf werden neben den Pogromen auch die Arisierungen in einer Akte gesammelt. Diese sollte im örtlichen Stadt- oder Kreisarchiv vorhanden und einsehbar sein. Es ist jedem empfohlen, sich diese Akten anzuschauen – die kalte Verwaltung der Entrechtung ist etwas, das man so schnell nicht vergisst.
Auch wenn die juristische Aufarbeitung der Pogrome häufig sehr mangelhaft war, z.T. gab es durchaus in der Nachkriegszeit Prozesse. Die Prozessakten und Zeitungsberichte sind einen Blick wert. Archive können etwas abschreckend wirken, sie sind es aber nicht. Die meisten Archivare freuen sich, wenn sie ihre Tätigkeit, die ja meist öffentlich finanziert ist, in Zusammenarbeit mit Bürgerinnen und Bürgern erklären und begründen können. Eine eMail oder ein Telefonat hilft bei der Recherche oft enorm, vor allem wenn das Archiv weiter vom Wohnort entfernt ist.
Zeitungen
Die Lokalzeitungen durften nach offizieller Anweisung jeweils nur einen, verharmlosenden Artikel über die Pogrome veröffentlichen. Je nach Zeitung fällt dieser unterschiedlich aus, er bietet aber zumindestens einen ersten Überblick.Die weitere Berichterstattung der Zeitungen ist ebenfalls spannend, gerade im Bezug auf antisemitische Stimmungsmache.
Weitere Recherchepunkte sind die jeweiligen Jahrestage des Pogromes, zu denen häufig entsprechende Artikel veröffentlicht wurde. Hier bieten sich jeweils die runden Jahrestage ab 1988 an, vorher wurde diese Zeit häufig nicht thematisiert. Die lokalen Zeitungen sollten im örtlichen Archiv oder in der örtlichen Bibliothek vorhanden sein.
Zeitzeugen
Auch 75 Jahre nach den Pogromen leben noch Menschen, die sie erlebt haben. Fragt sie – häufig haben sie Sachen zu berichten, die so nicht in den Quellen stehen!
Gleichzeitig bedarf der Umgang mit Zeitzeugen einer gewissen Sensibilität. Gerade bei Opfern kann das unvermittelte Nachfragen leicht alte Wunden aufreißen. Es empfiehlt sich daher, sensibel vorzugehen und sich vorher über den Umgang mit Zeitzeugen und der Oral History zu informieren. Weiterhin werden die Zeitzeugen nicht mehr sehr lange unter und weilen – es ist daher sinnvoll, ihre Geschichten zu dokumentieren und (mit ihrer Zustimmung) zu veröffentlichen.
Leider geht es weiter
Die Pogrome des 9./10. Novembers waren leider nur der Auftakt zur Judenverfolgung. Wer sich mit diesem Thema beschäftigen will, sollte auch mehr als einen Blick auf das weitere Geschehen bis zur Vernichtung werfen. So schrecklich die Ereignisse der Pogromnacht waren, das, was danach kam, war noch viel schlimmer.
Weitere Buchempfehlungen
Ben BARKOW, Raphael GROSS, Michael LENARZ: Novemberpogrom 1938. Die Augenzeugenberichte der Wiener Library, London, Frankfurt a.M. 2008, ISBN 978-3-633-54233-8: „In den Tagen, Wochen und Monaten nach dem Novemberpogrom 1938 sammelte das von dem emigrierten deutschen Juden Alfred Wiener gegründete Jewish Central Information Office in Amsterdam (heute Wiener Library, London) mehr als 350 Augenzeugenberichte. Sie stammen von Zeitzeugen unterschiedlichster Herkunft unmittelbar nach und teils noch während der vom Naziregime organisierten Ausschreitungen.“
Hans-Ulrich THAMER, Simone ERPEL: Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen, ISBN 978-3942422147: Ein Band zur gleichnamigen Ausstellung, die von Oktober 2010 bis Februar 2011 im Deutschen Historischen Museum, Berlin, zu sehen war. Aus dem Vorwort: „Es hat seit 1961/62 etliche ‚Schlussstrich‘-Forderungen gegeben, aber stets in Auseinandersetzung mit lebhaften Diskursen und erneuten Eröterungen der NS-Zeit, die in ihren Argumentationen von solchem Widerspruch geschärft wurde. Das Verlangen nach ‚Vergangenheitsbewältigung‘ wird noch auf lange Zeit unerfüllt bleiben, selbst wenn nach über 65 Jahren die letzten Schuldigen nicht mehr persönlich zur Verantwortung zu ziehen sind und die letzten Augenzeugen nicht mehr sprechen können.“