Wann trafen die Torpedos? Über Uhrzeiten und Quellenkritik

Der Untergang der „Wilhelm Gustloff“ ist eine der „Ereignisinseln“, die wir von vorneherein für den Twitter-Account festgelegt hatten. Binnen kürzester Zeit entfalten sich die Ereignisse, zudem ist vielfach eine genaue Uhrzeit überliefert. So ist der Abschusszeitpunkt der Torpedos, die das Schiff treffen, in vielen Berichten auf genau 21:08 Uhr festgelegt. Beispielhaft hierfür ist ein Bericht des Focus. Aber auch in Walter Kempowskis „Echolot“, das für unser Projekt und besonders für den Untergang des Schiffes einiges beitragen konnte, wird diese Uhrzeit erwähnt: hier soll ein Logbucheintrag des sowjetischen U-Boots als Zeuge dienen:

„Drei Torpedos auf Backbordseite des Ziels gefeuert. Alles Treffer. Entfernung 400-600 Meter.“ (Kempowski, S. 203)

Hierzu passt auch ungefähr der Text von Paul Uschdraweit, den Kempowski für das „Echolot“ ausgewählt hat: der Landrat wurde nach eigenen Angaben gegen 21:10 von „einer ungeheuren Detonation“ geweckt. (Kempowski, S. 203)

Bei der weiteren Recherche zum Schiffsunglück, stößt man allerdings bald auf eine zweite Uhrzeit, die angegeben wird, wenn es um den Zeitpunkt geht, an dem das Schiff von dem russischen U-Boot angegriffen wird: 21:16 Uhr. Hier ist z.B. Heinz Schön zu nennen. In seinem ‚Erlebnisbericht‘ „Die Gustloff-Katastrophe“ gibt er eine Übersicht über die Daten des Ereignisses, wie Geschwindigkeit und Anzahl der Opfer. Für 21:16 notiert er:

„Gustloff erhält drei Torpedotreffer“ (Schön, S. 230f)

Dr. Jann Markus Witt vom Deutschen Marineverband hingegen spricht von einer Uhrzeit „gegen 21.15 Uhr“ (Jann M. Witt, S. 109)

Prof. Guido Knopp schafft es sogar, sich in seinem Buch „Der Untergang der Gustloff“ zu widersprechen. Zunächst schreibt er von drei Torpedotreffern um 21.09 (Knopp, S. 9), später berichtet er von einem „ohrenbetäubenden Knall“, der das Schiff um 21:15 „erbeben ließ“. (Knopp, S. 105)

Vermutlich aus Gründen der Dramaturgie wird manchmal auch behauptet, dass die Torpedos direkt nach der Hitler-Rede abgeschossen wurden.

Somit standen wir vor einem Problem von etwa acht Minuten, dass für die große Geschichte keine übergeordnete Relevanz besitzt, für den Twitter-Account allerdings schon. Letztlich ist es dort eine Abwägungsfrage: Der Abschusszeitpunkt 21:16 Uhr greift zurück auf den vom Schiff abgesetzten Notruf, ist also auch an verschiedenen Stützpunkten und Funktürmen empfangen und weitergegeben worden. Die Uhrzeit 21:08 Uhr hingegen stammt vom Logbuch des U-Bootes und der nachträglichen Erinnerung eines Passagiers. Wem ist eher zu trauen? Hat der Kapitän der S-13 tatsächlich die exakte Uhrzeit notiert, und stimmten überhaupt die Uhren auf einem seit langer Zeit in der Ostsee schwimmenden U-Bootes so exakt?

Wir haben uns nach langer Diskussion für 21:16 Uhr entschieden, eine Uhrzeit die eher aus der Forschungsliteratur als aus (auto-)biografischen Quellen stammt. Dies ist eine Abwägungsfrage, es gibt gute Argumente für beide Zeitpunkte. Aus Gründen der Einheitlichkeit haben wir uns dafür entschieden, auch die Tweets zu Uschdraweit anzupassen, dies allerdings an dieser Stelle transparent zu machen.

Literatur:

Walter Kempowski: Das Echolot. fuga furiosa ; ein kollektives Tagebuch, Winter 1945′, Band III., München 1999.

Guido Knopp: Der Untergang der Gustloff, München 2008.

Heinz Schön: Die „Gustloff“-Katastrophe, 1. Auflage, Stuttgart 1984.

Jann M. Witt: Die Wilhelm Gustloff im Zweiten Weltkrieg, in: Bill Niven (Hrsg.): Die Wilhelm Gustloff. Geschichte und Erinnerung eines Untergangs, Halle/Saale 2011.

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