Weisung des Reichserziehungsministers Rust vom 15. November 1938

Nach der ruchlosen Mordtat von Paris kann es keinem deutschen Lehrer und keiner deutschen Lehrerin mehr zugemutet werden, an jüdische Schulkinder Unterricht zu erteilen. Auch versteht es sich von selbst, daß es für deutsche Schüler und Schülerinnen unerträglich ist, mit Juden in einem Klassenraum zu sitzen.
Die Rassentrennung im Schulwesen ist zwar in den letzten Jahren im allgemeinen bereits durchgeführt, doch ist ein Restbestand jüdischer Schüler auf den deutschen Schulen übriggeblieben, dem der gemeinsame Schulbesuch mit deutschen Jungen und Mädeln nunmehr nicht weiter gestattet werden kann. Vorbehaltlich weiterer gesetzlicher Regelung ordne ich daher mit sofortiger Wirkung an:

1. Juden ist der Besuch deutscher Schulen nicht gestattet. Sie dürfen nur jüdische Schulen besuchen. Soweit es noch nicht geschehen sein sollte, sind alle zur Zeit eine deutsche Schule besuchenden jüdischen Schüler und Schülerinnen sofort zu entlassen.

2. Wer jüdisch ist, bestimmt § 5 der Ersten Verordnung vom 14.11.1935 zum Reichsbürgergesetz.

3. Diese Regelung erstreckt sich auf alle mir unterstellten Schulen einschließlich der Pflichtschulen.

Berlin, den 15. November 1938.
Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung.

Zit. nach Dorothee Wein: Zeugen der Shoah. Antisemitismus an Berliner Schulen bis 1938, Berlin 2010, S. 11.

Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben vom 12. November 1938

Auf Grund der Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplans vom 18. Oktober 1936 (Reichsgesetzbl. I S. 887) verordne ich folgendes:
§ 1
Alle Schäden, welche durch die Empörung des Volkes über die Hetze des internationalen Judentums gegen das nationalsozialistische Deutschland am 8., 9. und 10. November 1938 an jüdischen Gewerbebetrieben und Wohnungen entstanden sind, sind von dem jüdischen Inhaber oder jüdischen Gewerbetreibenden sofort zu beseitigen.
§ 2
(1) Die Kosten der Wiederherstellung trägt der Inhaber der betroffenen jüdischen Gewerbebetriebe und Wohnungen.
(2) Versicherungsansprüche von Juden deutscher Staatsangehörigkeit werden zugunsten des Reichs beschlagnahmt.
§ 3
Der Reichswirtschaftsminister wird ermächtigt, im Benehmen mit den übrigen Reichsministern Durchführungsbestimmungen zu erlassen.
Berlin, den 12. November 1938
Der Beauftragte für den Vierjahresplan
Göring
Generalfeldmarschall

Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938

Auf Grund der Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplans vom 18. Oktober 1936 (Reichsgesetzbl. I S. 887) wird folgendes verordnet:
§ 1
(1) Juden (§ 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 – Reichsgesetzbl. I S. 1333) ist vom 1. Januar 1939 ab der Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen, Versandgeschäften oder Bestellkontoren sowie der selbständige Betrieb eines Handwerks untersagt.
(2) Ferner ist ihnen mit Wirkung vom gleichen Tage verboten, auf Märkten aller Art, Messen oder Ausstellungen Waren oder gewerbliche Leistungen anzubieten, dafür zu werben oder Bestellungen darauf anzunehmen.
(3) Jüdische Gewerbebetriebe (Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 – Reichsgesetzbl. I S. 627), die entgegen diesem Verbot geführt werden, sind polizeilich zu schließen.
§ 2
(1) Ein Jude kann vom 1. Januar 1939 ab nicht mehr Betriebsführer im Sinne des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 (Reichsgesetzbl. I S. 45) sein.
(2) Ist ein Jude als leitender Angestellter in einem Wirtschaftsunternehmen tätig, so kann ihm mit einer Frist von sechs Wochen gekündigt werden. Mit Ablauf der Kündigungsfrist erlöschen alle Ansprüche des Dienstverpflichteten aus dem gekündigten Vertrage, insbesondere auch Ansprüche auf Versorgungsbezüge und Abfindungen.
§ 3
(1) Ein Jude kann nicht Mitglied einer Genossenschaft sein.
(2) Jüdische Mitglieder von Genossenschaften scheiden zum 31. Dezember 1938 aus. Eine besondere Kündigung ist nicht erforderlich.
§ 4
Der Reichswirtschaftsminister wird ermächtigt, im Einvernehmen mit den beteiligten Reichsministern die zu dieser Verordnung erforderlichen Durchführungsbestimmungen zu erlassen. Er kann Ausnahmen zulassen, soweit diese infolge der Überführung eines jüdischen Gewerbebetriebes in nichtjüdischen Besitz, zur Liquidation jüdischer Gewerbebetriebe oder in besonderen Fällen zur Sicherstellung des Bedarfs erforderlich sind.
Berlin, den 12. November 1938.
Der Beauftragte für den Vierjahresplan
Göring
Generalfeldmarschall

 

Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit vom 12. November 1938

Die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk und Reich, die auch vor feigen Mordtaten nicht zurückschreckt, erfordert entschiedene Abwehr und harte Sühne.
Ich bestimme daher auf Grund der Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplans vom 18. Oktober 1936 (Reichsgesetzbl. I S. 887) das Folgende:
§ 1
Den Juden deutscher Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit wird die Zahlung einer Kontribution von 1 000 000 000 Reichsmark an das Deutsche Reich auferlegt.
§ 2
Die Durchführungsbestimmungen erläßt der Reichsminister der Finanzen im Benehmen mit den beteiligten Reichsministern.
Berlin, den 12. November 1938.
Der Beauftragte für den Vierjahresplan
Göring
Generalfeldmarschall

 

Aufzeichnung des Unterstaatssekretärs Woermann zu den wesentlichen Ergebnissen der Besprechung vom 12. November 1938

1. Arisierung der Wirtschaft soll beschleunigt durchgeführt werden. […]

2. Enteignungen von jüdischem Grundbesitz, Kunstgegenständen, Schmuck, Aktien usw. Frage ist einem kleinen Ausschuß unter Vorsitz Reichsministers Funk überwiesen.

3. Sofortige Prüfung durch zuständige innere Ressorts der Frage der Zwangsarbeit des jüdischen Proletariats. Prüfung der Frage der Beschränkung der Freizügigkeit der Juden (Ghettos?) sowie einer Reihe von Einzelmaßnahmen wie Verbot des Besuchs von Kurorten, Bädern, Wäldern, der Benutzung von Schlafwagen, Besuch deutscher Schulen durch jüdische Kinder usw.

4. Verbot des Besuchs von Theatern, Konzerten, Kinos usw. durch Juden […]

5. Auferlegung einer einmaligen Kontribution von einer Milliarde Reichsmark an die deutschen Juden […]

6. Jüdische Auswanderung soll auf jede Weise gefördert werden.

7. Der durch Aktion gegen Juden letzter Tage entstandene Schaden soll in noch festzulegender Form zu lasten deutscher Juden gehen […]

8. Strengstes Verbot eigenmächtiger Aktionen […]

9. Habe frage der Beteiligung ausländischer Juden angemeldet und Beteiligung Auswärtigen Amts an allen Maßnahmen generell und im Einzelfall sichergestellt. Ausgangspunkt dabei, daß Rücksicht auf Ausland nur zu nehmen ist, wenn vorwiegendes Reichsinteresse dazu zwingt; Zusage der Berücksichtigung vertraglicher Verpflichtungen.

Zit. nach: Hans-Jürgen Döscher: “Reichskristallnacht”. Die Novemberpogrome 1938, München 2000, S. 124-125.

DNB-Bericht über die Pressekonferenz für die Auslandspresse vom 11. November 1938

In einer Pressekonferenz der Vertreter auslaendischer Zeitungen in Berlin hat Minister Dr. Goebbels heute einen Vortrag gehalten, der in Kuerze auch ueber DNB kommen wird. Er gilt als der heute in der Pressekonferenz erwaehnte Kommentar und enthaelt also die Sprachregelung fuer die weitere Behandlung der Judenfrage. Dabei soll, wenn dazu geschrieben wird, an der Hand auslaendischer Pressestimmen und der Reden im Unterhaus das englische Vorgehen in Palaestina besonders eindeutig herausgestellt werden, die Massnahmen gegen die Araber, Haeusersprengungen, Hinrichtungen, Verbannungen und lebenslaengliche Strafen. Es soll weiter – woertlich – in der Presse zum Ausdruck kommen, dass auch, wenn das Unterhaus Wert darauf lege, die Judenfrage in einer Aussprache zu eroertern, der deutsche Reichstag eine Debatte ueber die Greuel in Palaestina herbeifuehren koennte. Jeder kehre vor seiner Tuer.

Plakat der Münchner NSDAP vom 10. November

Aufruf!

Reichsminister Dr. Goebbels gibt bekannt:
„Die berechtigte und verständliche Empörung des Deutschen Volkes über den feigen jüdischen Meuchelmord an einem deutschen Diplomaten in Paris hat sich in der vergangenen Nacht in umfangreichem Maße Luft verschaft. In zahlreichen Städten und Orten des Reiches wurden Vergeltungsaktionen gegen jüdische Gebäude und Geschäfte vorgenommen.
Es ergeht nunmehr an die gesamte Bevölkerung die strenge Aufforderung, von allen weiteren Demonstrationen und Aktionen gegen das Judentum, gleichgültig welcher Art, sofort abzusehen. Die endgültige Antwort auf das jüdische Attentat in Paris wird auf dem Wege der Gesetzgebung bezw. der Verordnung dem Judentum erteilt werden.“

Volksgenossen! Volksgenossinnen!

Auch bei uns in München hat das Weltjudentum die ihm gebührende Antwort erhalten!

Die Synagoge ist abgebrannt!

Die jüdischen Geschäfte sind geschlossen!

Die frechgewordenen Juden sind verhaftet!

Das nationalsozialistische München demonstriert

gegen das Weltjudentum
und seine schwarzen und roten Bundesgenossen

für die Freiheit und Sicherheit
der Nation und aller Deutschen in der Welt.

Es sprechen: Gauleiter Adolf Wagner und zwanzig Parteiredner.

Zit. nach Hans-Jürgen Döscher: „Reichskristallnacht“. Die Novemberpogrome 1938, München 2000, S. 101.

DNB-Rundruf vom 10. November

Zu den Ereignissen der vorigen Nacht sagte das Propagandaministerium: Im Anschluss an die heute morgen ausgegebene DNB-Meldung koennen eigene Berichte gebracht werden. Hier und dort seien Fensterscheiben zertruemmert worden, Synagogen haetten sich selbst entzuendet oder seien sonstwie in Flammen aufgegangen. Die Berichte sollen nicht allzu gross aufgemacht werden, keine Schlagzeilen auf der ersten Seite. Vorlaeuig keine Bilder bringen. Sammelmeldungen aus dem Reich sollen nicht zusammengestellt werden, aber es koenne berichtet werden, dass auch im Reich aehnliche Aktionen durchgefuehrt worden seien. Einzeldarstellungen darueber sind zu vermeiden. Ueber oertliche Vorgaenge koenne ausfuehrlicher berichtet werden. Dies alles nur auf der zweiten oder dritten Seite. Wenn Kommentare fuer noetig befunden wuerden, so sollen sie nur kurz sein und etwa sagen, dass eine begreifliche Empoerung der Bevoelkerung eine spontane Antwort auf die Ermordung des Gesandtschaftsrates gegeben habe.

Zit. nach: Thomas Goll, Die inszenierte Empörung. Der 9. November 1938, Bonn 2010, S. 55.

Internes Gestapo-Fernschreiben vom 9. November 1938, 23:55 Uhr

An alle Stapo Stellen und Stapoleitstellen – An Leiter oder Stellvertreter
Dieses FS ist sofort auf dem schnellsten Wege vorzulegen.

1. Es werden in kürzester Frist in ganz Deutschland Aktionen gegen Juden insbesonders gegen deren Synagogen stattfinden. Sie sind nicht zu stören. Jedoch ist im Benehmen mit der Ordnungspolizei sicherzustellen, dass Plünderungen und sonstige besondere Ausschreitungen unterbunden werden können.

2. Sofern sich in Synagogen wichtiges Archivmaterial befindet, ist dieses durch
eine sofortige Massnahme sicherzustellen.

3. Es ist vorzubereiten die Festnahme von etwa 20–30.000 Juden im Reiche. Es sind
auszuwählen vor allem vermögende Juden. Nähere Anordnungen ergehen noch im Laufe
dieser Nacht.

4. Sollten bei den kommenden Aktionen Juden im Besitz von Waffen angetroffen werden, so sind die schärfsten Massnahmen durchzuführen. Zu den Gesamtaktionen können
herangezogen werden Verfügungstruppen der SS sowie Allgemeine SS. Durch entsprechende Massnahmen ist die Führung der Aktionen durch die Stapo auf jeden Fall sicherzustellen.

Zit. nach: Thomas Goll, Die inszenierte Empörung. Der 9. November 1938, Bonn 2010, S. 50.

„Dazwischen noch etwas Pogrom“? Zur Kritik an der Form.

Die Kritik, die Twitteruser @trainingsjacke gestern morgen äußerte, ist, zumindest in Fragen von Journalisten, schon einige Male formuliert worden. Sie ist natürlich legitim, wir haben uns vorab Gedanken darüber gemacht und uns dennoch für das Format entschieden.

@9Nov38 ist insofern ambitioniert, dass wir uns, im Gegensatz zu bspw. @9Nov89live, ein Thema ausgesucht haben, in dem es um unermessliches Leid, menschliche Abgründe und letztlich den Weg zum absoluten Zivilisationsbruch geht. Uns ist klar, dass einige Menschen deswegen die etablierten Wege der Information und Vermittlung bevorzugen. Aber mit Büchern, Zeitungsberichten und Fernsehdokumentation erreichen wir einige Teilöffentlichkeiten nicht mehr, und sie haben mediale Grenzen, die Twitter nicht hat. Filme von Guido Knopp haben mehr als 140 Zeichen, aber sie können keine Echtzeit bieten.

Der legitime Vorwurf ist im Kern, dass wir die Abgründe der Pogrome zu banalen Häppchen verkürzen, die zwischen Witzchen und Werbung eingestreut werden. Das können wir nicht verhindern, denn jeder ist für seine Timeline selbst verantwortlich. Wir können nur versuchen, durch sprachliche Mittel eine Ernsthaftigkeit zu erzeugen, die sich auf unsere Follower überträgt. Jeder, der einmal auf „Folgen“ geklickt hat, hat dies freiwillig getan, und damit ist ein gewisses Grundinteresse als gegeben zu betrachten. Gestern haben etwa 1.000 Menschen die Postkarte des Vaters von Herschel Grynszpan im Volltext angeklickt. Wir können nicht sicher sein, dass nicht auch einige Leute aus der merkwürdigen Lust nach faktisch korrektem Grusel darunter sind, aber wir können es auch nicht ändern. Und gegenüber der mittlerweile wichtigsten Vermittlungsform, dem Fernsehen, haben wir im Vergleich zu Zapping und Re-Enactment keine größere Gefahr der Banalisierung.